Der Bilanzskandal um den mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard hat Anleger Milliarden gekostet. Mittlerweile steht auch der zuständige Wirtschaftsprüfer EY im Fokus. Der Prozessfinanzierer FORIS AG arbeitet mit führenden Bank- und Kapitalrechtskanzleien an gemeinsamen Lösungen.
Bonn | 02. Juli 2020 – Auch wenn es hierzulande bereits den einen oder anderen Fall von Bilanzbetrug gegeben hat, ist die Dimension bei Wirecard für Deutschland doch einzigartig: Eine im DAX30 notierte Gesellschaft muss per ad-hoc-Mitteilung zugeben, dass rund 1,9 Milliarden Euro, die eigentlich auf Treuhandkonten bei zwei Banken liegen sollten, nicht auffindbar sind. Inzwischen scheint sicher: Das Geld hat es nie gegeben. „In der Folge kam es zu einer regelrechten Kernschmelze von Wirecard. Der Kurs der Aktie brach um mehr als 95 Prozent ein, die Gesellschaft meldete Insolvenz an“, sagt Hanns-Ferdinand Müller, Vorstand des Prozessfinanzierers FORIS AG.
Im Auge des Sturms ist neben der Wirecard AG auch die Prüfungsgesellschaft EY, die dem Zahlungsdienstleister das Testats für die Unternehmensbilanz 2019 verweigert hatte. „Da EY die Wirecard-Bilanzen bereits seit 2009 durchgehend geprüft – und bestätigt – hat, stehen nun die Wirtschaftsprüfer selbst im Rampenlicht, wenn es um die Durchsetzung der milliardenhohen Schadenersatzforderungen geschädigter Anleger geht“, so Müller.
Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft sieht sich deshalb einer zunehmenden Zahl von Klageankündigungen ausgesetzt. „Es ist kein Wunder, dass viele Anwälte sich auf EY konzentrieren. Im Gegensatz zur insolventen Wirecard AG oder zu den handelnden Personen, ist EY tatsächlich sehr solvent“, sagt Müller. Die Erfahrung zeige allerdings, dass der Klageweg nicht nur teuer, sondern vor allem langwierig ist. „Auch ist alles andere als sicher, ob eine Klage am Ende erfolgreich ist. Viel wird davon abhängen, was EY in den Vorjahren bereits über den Zustand von Wirecard wusste oder angesichts ihres tiefen Einblicks über immerhin zehn Jahre hätte wissen müssen“, erläutert Müller.
Zwar deutet zurzeit einiges darauf hin, dass selbst EY sich gewünscht hätte, die Testate für Wirecard nicht bis ins Jahr 2018 uneingeschränkt erteilt zu haben. Allerdings sind den geschädigten Wirecard-Anlegern noch nicht alle Umstände bekannt. „Genau das kann sich in den nächsten Monaten und Jahren ändern, wenn eine ganze Reihe von Behörden, Aufsichtsstellen und Unternehmen die Prüftätigkeiten von EY unter die Lupe nehmen werden“, ist Müller überzeugt.
„Obwohl es in verfahrenen Situationen wie dieser weder auf Kläger- noch auf Beklagtenseite üblich ist, bieten sich außergerichtliche Gespräche an“, erklärt Volker Knoop, der mit Müller den Vorstand der FORIS AG bildet. „Natürlich werden solche Gesprächsangebote oft selbstbewusst belächelt. In den meisten Großschadensereignissen stellt sich dann allerdings nach Jahren für beide Seiten heraus: Hätte man bloß mehr miteinander gesprochen“, ergänzt Knoop.
Mögliche Gesprächsformate gebe es viele. „Es muss nicht an Tag 1 um einen frühen Vergleichsschluss gehen, sondern um die Vereinbarung, wie man gemeinsam vorgehen will – anstatt sich zu bekämpfen“, meint Knoop. Er ist überzeugt, dass viel Einigungspotenzial ungenutzt liegen bleibt, wenn beide Seiten nicht die Chance früher Gespräche erkennen. „Scheitern Einigungsversuche, wird es genügend Kläger geben, die nicht untätig ihre Milliardenschäden hinnehmen wollen“, erklärt Müller und fügt hinzu: „Das könnte für EY erst recht teuer werden“.